in den hohen Bergen

Prolog

Ein kalter, mit Moos überwachsender, Stein drückte sich in die Haut meiner Stirn. Als ob einem ein Stempel an den Kopf gedrückt wird. Wie lange sich das Muster des Steines nun wohl schon in meinen Schädel pressen wollte. Nun mir konnte es ja relativ egal sein. Ich musste nichts mehr erledigen. Ich war frei. Frei. Hm… welch seltsamer Ausdruck dies doch eigentlich ist. Er ist eigentlich so klar, sodass jeder den man fragen würde was frei bedeutet, ungefähr eine gleiche Erklärung abgeben würde. Dennoch streitet sich ein jeder um die Benutzung des Begriffes in einigen Fällen. Aber was kümmern mich schon Diskussionen wie jene oder die der Leute um mich herum, welche sich rund um die Uhr mit der Rhetorik und der Philosophie beschäftigen, wenn sie irgendwann überhaupt einmal nachdachten. Kein Wunder das sich mir solche abstrusen Gedanken auftun.

In meinen Gedanken versunken und in schon nahezu starrer Pose merkte ich nichts mehr. Weder die eisigen Windzüge, welche gemischt mit den Gerüchen der Leute war und so eine wahre Explosion all meiner Sinne ergab, noch deren ineinander fliegendes Geschrei, welches in den alten Gemäuern wiederhallte.

Zeit. Auch darüber hätte ich nachdenken können. Aber je länger und intensiver man sich mit der Zeit auseinander setzt umso langsamer vergeht sie. Als ob man versucht diesen einen Moment festzuhalten und ihn als Gegenstand seiner Theorie über die Zeit zu machen. In genau diesem Moment merkt man allerdings auch wie lang sich dieser hinziehen kann und wie viele noch folgen müssen damit etwas erreicht wird. Die Diskussion der Dauer dieses Momentum erweist sich dahingehend also als schwierig, wenn man betrachtet in welcher Situation ich mich hier grade befinde. Ebenso kann ein Moment, den man festhalten will einem auch aus den Fingern gleiten und in einem Bruchteil vergehen. Verloren für immer.

Durch die ersten Strahlen der morgendlichen Sonne reflektieren sich die Visagen der Leute in den Wassertropfen und Pfützen wieder. Die meisten werden wohl froh sein das eine weitere für sie finstere Nacht vorbei gegangen ist. Teilweise erscheint es so als ob etwas Ruhe Einzug hält. Dies wird aber immer wieder durch schmerzerfüllte Rufe und Schreie aus der ferne unterbrochen. Schreie die einen erschaudern und erahnen lassen das man nicht in der Haut jener Person stecken möchte. Welch absoluter Widerspruch zum eigentlichen Bild dieser Stadt. Aber was weiß ich schon. Ich nehme meinen Kopf langsam vom mittlerweile warmen Stein, dessen Moos sich durch mein Blut schon rot gefärbt hat und gehe ein paar Schritte zur Seite und lehne mich mit meinem Rücken gegen die Wand während ich langsam an den kalt feuchten Steinen hinunter gleite.

Nichts hat sich geändert. Alles ist das selbe hier. Die heuchlerische Stadt, die verlogenen Menschen, die unwissenden Kinder und die Stimmung und Leute hier. Wobei wenn man ganz genau sein will und den täglichen Treiben hier zuschaut man erkennen müsste, dass sich dieser Ort täglich ändert. Leute verschwinden und neue nehmen deren Platz ein und ein jeder verhält sich so als ob sie einander seit Jahren kennen würden. Die Schreie ertönen jeden Tag von einer anderen Person. Die Leute wetten schon darum wie viele Schreie täglich wohl durch dieses Gemäuer hallen. Ein Hall, welcher hier an der Tagesordnung steht. Mein Kopf dreht sich langsam nach links. „Es müsste langsam soweit sein“, fragte ich mein Gegenüber. Diese Augen. Zwei dunkle Pupillen starren mich eine Zeit lang an. Als würden sie mich wie ein Buch lesen, als wüssten sie alles über mich und was passieren würde. Augen welche schon schlimmeres als den Tot gesehen haben, jene welche die Zeit und die Momente nicht übersehen konnten und jegliches Leid in sich sogen. Pechschwarz und absolut leer. „Du wirst es an der jubelnden Menge erkennen“, bekam ich als ruhige Antwort. Ja die Menge. Die Menge aus der Stadt, welche nur für mich früh morgens aus dem Haus trat und mit einem schläfrigen lächeln hierher kamen. Ich hatte mich extra rausgeputzt, jedenfalls so gut es die Umstände ermöglichten. Immerhin sollte man seinem Publikum auch vernünftig gegenüber stehen. Nicht so wie John. Er war halb nackt letzte Woche über das Podest gekrochen und hatte seinen Morgenschiss noch am Arsch hängen wie irgendein Affe aus dem Urwald. Zugegebener Maßen war er auch ein Affe, aber halt ein Affe aus der Großstadt. Nun ja aber es war auch sein letzter großer Auftritt. Sie hatten ihn ohne Ende ausgebuht und mit faulen Obst beschmissen. Ich merkte langsam das mich mein Gegenüber noch immer anstarrte und mich mit diesen Blicken langsam aber sich beunruhigte. Als Folge stand ich auf und fing an im Kreis zu laufen. Meine Füße schliffen dabei über das Stroh, welches in mangelnder Menge und sehr zu unserem Bedauern über dem Boden verteilt war. Wir hatten uns schon mehrfach lautstark beschwert, aber bisher ohne Erfolg. Ab morgen aber war dies sowieso keines meiner Belangen mehr.

In meinen Gedanken versunken hörte ich gar nicht die durch die Gänge monoton und im Gleichschritt hallenden Schritte, welche sich langsam aber immer deutlicher von den Gesprächen abhoben. Erst als die Leute sich erhoben und es nochmals lauter wurde blieb ich stehend. Da war es. Ich ging zur Wand und blickte durch einen kleinen Ausblick nach draußen und sah wie nach und nach Leute aus der Stadt kamen. Währenddessen hörte ich hinter mir den Schlüssel in das rostige Schloss fallen, wie er sich langsam quälte sich zu drehen nur um eine quietschende Türe aufzuschieben, welche er schon etliche Male aufgeschlossen hatte. Lediglich die Massivität des Schlüssels hielt ihn davon ab in etliche Teile zu brechen.

Ich drehte mich um und wendete meine Aufmerksamkeit den beiden Personen an der Türe zu. Sie sahen mich mit einem schon gar mörderischen lächeln an. Ich ging gelassenen Schrittes auf sie zu, während sie spöttisch über meine Wunde auf der Stirn lachten. Von jetzt an war alles strikt geplant. Jeder Schritt und jede Handlung war nun unter genauester Beobachtung. Mein Spielraum war damit absolut festgelegt auf null. Erst als ich vor der Menge stehen sollte, würde ich auch wieder etwas mehr machen dürfen. Aber dies war alles egal. Ich wusste es vorher und ich wusste es jetzt. In genau diesem Moment. In jenem in dem schon alle anderen Momente fest standen obwohl sie noch nicht einmal passiert waren. Limitiert auf wenige mögliche Änderungen durch eben jene zwei Personen. Es ist schon seltsam das, dass eigene Leben von solch fremden Personen so oft, so massiv, so ungehindert gelenkt wird. Während ich darüber nachdachte schubsten sie mich immer während vor sich her, ganz egal ob ich schneller wurde oder so schnell wie sie ging. Ich wollte nur noch aus diesem Gemäuer raus, raus zu der Menge, raus zu meinem Schicksal und raus in meine Freiheit. Immer wieder bogen wir ab, gingen durch etliche Türen und an etlichen Personen vorbei, welche einen betrachteten. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Egal von wem und egal von wo. Trotz allem war ich hier recht bekannt und das trotz all den Leuten hier. Ich hatte mir wirklich einen Namen gemacht. Allerdings haben wir ein schwere Laster zu tragen. Und all dies haben wir gemeinsam. Jeder einzelne von uns. Sie die schauen, die beiden die mich begleiten, ich … Einfach alle. Wir betrachten unsere Mitmensch immer auf diese eine Weise um uns besser zu fühlen. Wir stehen immer über anderen, jedenfalls bis wir fallen und hart landen und endlich sehen wie diese Welt ist.

Da war das Licht und zwar sprichwörtlich das am Ende des Tunnels. Die letzten Meter. Der finale Aufstieg. Ein Licht was endlich wieder Wärme auf meiner blassen, abgemagerten Haut verbreitet. Wie ein Lauffeuer das auf dem ganzen Körper brennt und die Seele daran erinnert wie es ist frei zu sein und zu leben. Ein Gefühl der Glücklichkeit. Und man merkt das sich das Warten , all die Zeit an dem Stein und all die Taten davor, gelohnt hat. Nur für dieses Momentum. Nun stehe ich hier. Vor mir ein riesiger Innenhof, mit Steinboden gepflastert und von Steinmauern umgeben. Vier Türme ragen vor mir in die Höhe, auf dessen Zinnen je eine marineblaue Flagge mit goldenem Phönix im Wind weht. Der Innenhof war gefüllt bis zum letzten freien Platz. Überall standen die Leute aus der Stadt und murmelten untereinander. Ich selbst stand auf einer maroden Holzstruktur, welche durchnässt vom gestrigen Gewitter war, die als Bühne diente. Schritt für Schritt gingen wir in die Mitte, wobei die Menge anfing zu jubeln und Schreie, wie ein explosives Gemisch, wild umher gebrüllt wurden. Die Menge tobte förmlich vor Begeisterung. In der Mitte stand eine Holzvorrichtung, welche scheinbar für mich gedacht war. Fröhlich schaute ich in die Gesichter der Leute und jedes einzelne Gesicht zeigte mir das ich recht hatte. Das meine Taten einen Sinn hatten und das ich hier nun alles davon beenden kann. Der Abschluss der für alle einfach genau richtig ist.

Die Rufe wurden immer lauter. Gebrüll wie „Mörder“ oder „Dämon“ wurden vermehrt genutzt. Doch jede einzelne Beleidigung brachte mich mehr zum grinsen. Ich beugte mich über die Holzvorrichtung. Der Scharfrichter hob das Beil an. Und dann nach so langer Zeit des Wartens rief ich, während das Beil fiel : „AUGMENTA WARTET.“

 

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